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Der Nullpunkt
Es gibt einen Punkt, den man als Nullpunkt bezeichnen kann. Dieser Punkt ist nicht mit der sogenannten „goldenen Mitte“ zu vergleichen, der Nullpunkt liegt sozusagen irgendwo davor. Er tariert das Bewusstsein mit dem Unterbewusstsein aus; das, was man als Realität wahrzunehmen scheint, ist plötzlich gespalten und doch geht die Wahrheit in ihr nicht verloren. Es ist der Zugriff auf mehrere „Wahrscheinlichkeiten“ der Realität, das ihn so interessant macht. Er läutert das Dogma des einzig Wahren und lässt einen doch spüren, dass das einzig Wahre in irgendeiner Form existiert. Die Wahrnehmung durch die fünf Sinne erhält so ihre Berechtigung der Wahrheit und zugleich weiß man, dass es noch weitere Wahrheiten gibt, die sich den fünf Sinnen durch ihre rein energetische Qualität entziehen.
Der Nullpunkt hat keine generelle Ausrichtung zu einer Ebene hin, vielmehr liegt er zwischen ihnen, er drückt seine Stärke dadurch aus, dass er das Einseitige so darstellt, dass es sich selbst negiert. Er ist nur eine Station der Entwicklung, in der man nicht zu lange verweilen sollte, denn wenn man dies tut, heißt das nur, dass man sich nicht weiter bewegen will und dies ist dann eine recht unangenehme Situation. Man befindet sich zwischen den Welten, die alle gemeinsam und gleichzeitig ihren Anspruch auf „Rechtmäßigkeit“ sehr massiv vertreten. Wenn man sich dort befindet, dann ist es besser, dass man sich dieser Tatsache bewusst wird, denn das Ego wird diesem Druck nicht unbegrenzt standhalten können. Die Konsequenz der Uneinsichtigkeit wäre der Verlust des Egos, ohne das man seine eigene Sichtweise nicht vor sich selbst vertreten kann. Das Ergebnis wäre eine lang währende Ziellosigkeit ohne gleichen, denn dieser Punkt verlangt nach Entscheidungen, die dann eine neue Persönlichkeit bilden. Es ist völlig gleich, für was man sich entscheidet, nur dass man sich entscheidet, ist von entscheidender Wichtigkeit. Die Qual der Wahl ist nur bedingt von Belang, denn die Entscheidung liegt hinter dem, was man bereit ist loszulassen und nicht hinter dem, was man aktuell denkt und darstellt. Das Neue kann nur dort entstehen, wo das Alte jetzt noch existiert. Hinter den Barrieren der eigenen Muster kann man das erkennen, was man sein will und sein wird, man muss nur über sich selbst hinaus blicken, um zu erkennen, wer man ist. Ein Psychologe würde über den Nullpunkt sagen, dass er außerhalb der Persönlichkeit liegt, denn hier sind nur noch wenige „Brillen“ der Wahrnehmung vorhanden. Ich finde den Vergleich mit den Brillen sehr gut, denn sie repräsentieren die Filter der Wahrnehmung, welche das Ego prägen. Es ist innerhalb des Nullpunktes nicht möglich, alle Brillen abzulegen, denn um alles in seiner Ursprünglichkeit zu erfahren, benötigt man eine Erweiterung seiner selbst. Für diese Erweiterung stellt der Nullpunkt nur den Weg der Entscheidung dar, das heißt, hier wählt man, ob man sich für diesen tiefen Einblick entscheidet oder ob man sich „vorerst“ ein neues Leben auf der rein materiellen Ebene ermöglicht, in dem ein neuer Prozess der Entwicklung beginnt. Auf jeden Fall wird durch das Erreichen dieses Punktes eine neue Entwicklung gestartet, das alte Leben ist nicht mehr vorhanden und das neue Leben erwartet sehnsüchtig die Entscheidung, um geboren zu werden. Man könnte den Nullpunkt auch die „Zeit der Schwangerschaft“ nennen, denn es wird ein neues Leben geboren, das nach seiner Geburt die Zeit des behüteten Reifens benötigt. Es ist nicht vonnöten, dass man einen anderen Erziehungsberechtigten als sich selbst zu Rate ziehen muss; im Gegenteil, man wird keinen finden können, der sich einem selbst als „würdig“ erweist, denn kein Mensch kann diesen Prozess aus seiner eigenen Sicht verstehen. Die Verantwortung für das, was man tut oder nicht tut, liegt nun ganz allein in den eigenen Händen und kann nicht mehr, wie es für die meisten Menschen üblich ist, nach Außen auf jemand anderen übertragen werden. Man ist dazu „gezwungen“, für sich selbst zu entscheiden und die Verantwortung für diese Entscheidung selbst zu tragen. Die Last, die man zu tragen hat, hängt allein von einem selbst ab, denn das Gewicht ist hierbei eine rein subjektive Maßeinheit, die den Widerstand zu sich selbst repräsentiert. Umso schwerer die Last, umso zerrissener ist man selbst, nur die Leichtigkeit kann die Last zu einer Entscheidungshilfe transformieren. Sobald die Dinge nicht mehr schwer erscheinen, ist man klaren Geistes dazu in der Lage, die scheinbaren Hindernisse des Lebens als Wegweiser zu deuten, die sich einem selbst als Ausdruck von „Kraft“ zeigen. Diese „Kraft“ ist mehr ein Ausdruck von innerer Stärke, als von roher Gewalt; sie löst keine Konflikte, denn diese können gar nicht mehr entstehen. Der Konflikt stellt einen Widerstand dar, der aber nicht mehr existent ist. Sollte man ihn doch erblicken, so weiß man, dass sich ein eigenes Muster dahinter verbirgt, welches man noch nicht erkannt hat oder nicht loslassen wollte, um seinen eigenen Weg zu vervollständigen.
Das Mitgefühl ist etwas sehr wichtiges in dieser „neuen“ Welt, oftmals wird es mit dem Mitleid verwechselt, dies ist aber definitiv nicht richtig. Das Mitgefühl drückt eine Hilfe aus, die sich mit der Liebe verbindet, dadurch kann man einem anderen Menschen helfen, seine eigene Last etwas zu erleichtern. Es sagt nur aus, dass man die Gefühle des anderen verstehen kann und man steht ihm liebevoll zur Seite. Das Mitgefühl endet meist in Verständnis und liebevoller Zuwendung, dadurch kann der Andere seinen leidvollen Weg oftmals für eine Zeitlang unterbrechen und durch dieses „Fenster“ der Zuversicht oftmals einen anderen Weg, als den des Leidens finden.
Das Mitleid ist eine Spirale des Leidens, denn man nimmt das Leid des Anderen an und leidet mit ihm, dadurch übermittelt man ihm automatisch die Gefühle von Leid und Schmerz, die sich dann innerhalb dieser Verbindung immer weiter hochschaukeln. Es ist nicht sinnvoll, sich einer solchen Verbindung auszuliefern, denn damit wird keinem geholfen und man schadet letztlich auch sich selbst damit. Das Mitleid endet meist in Frust und Zorn. Damit verbunden werden die Energien der Ängste geschürt und dem Anderen übermittelt, dieser sieht sich dann in seiner Angst bestätigt und sein Leiden nimmt immer weiter zu.
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